Das Deutsche hat die Fähigkeit, Verbphrasen zu Adjektivphrasen umzuformen und umzufunktionieren. Es lassen sich drei Fälle unterscheiden: Passivfall, "sein"-Perfektfall und Aktivfall. Auch kommt ein vierter hinzu: Gerundivfall.
Passivfall
Dieser lässt sich anhand dieses Beispiels veranschaulichen:
(1) Menschen über 80 sind eine von der Gesellschaft vernachlässigte Gruppe .
Die mit hellrotem Hintergrund markierte Wortform ist morphologisch ein Adjektiv, das sehen wir an der -e-Endung. Die mit hellgelbem Hintergrund markierte PP gilt in gängiger Redeweise als eine Erweiterung dieses Adjektivs. Sie erinnert dabei sehr an eine Agensphrase, wie wir sie aus Passivsätzen kennen, wie diesem:
(2) Menschen über 80 werden von der Gesellschaft vernachlässigt.
Hier ist "vernachlässigt" natürlich die infinite Verbform Perfektpartizip. Wenn nun gesagt wird, dass das Deutsche die Fähigkeit hat, VPen zu APen umzuformen und -funktionieren, wird gemeint, dass es eine VP wie "von der Gesellschaft vernachlässigt" nehmen und sie zur AP "von der Gesellschaft vernachlässigte-" umformen und -funktionieren kann; morphologisch besteht die Umformung in der Anfügung eines Adjektivflexionssuffixes (hier -e, es könnte aber auch einen Konsonanten umfassen), syntaktisch besteht die Umfunktionierung in einem Kategorienwechsel auf Phrasenebene, von Verb- zu Adjektivphrase, von etwas also, was sich mit einem Subjekt verbinden kann, zu etwas, was sich mit einem Nomen verbinden kann.
Die innere Struktur lässt sich so verdeutlichen:
(3) [ eine [[[ von der Gesellschaft ]PP vernachlässigt ]VP -e ]AP Gruppe ]NP
Dann wird auch deutlich, dass wir "von der Gesellschaft" in der Tat als Agens-PP und "vernachlässigt" tatsächlich als Passiv-Partizip betrachten und bezeichnen können – in einem weiteren Schritt wird die VP mithilfe des Adjektivsuffixes -e zu einer AP umgewandelt.
Perfektfall
Wenn – und eben nur wenn – das Perfekt mit "sein" gebildet wird, kann auch eine Perfekt-Aktiv-VP durch Anfügung des passenden Adjektivsuffixes zur AP umgebildet werden:
(4) Das sind Granitblöcke, die durch Verwitterung beweglich geworden sind.
Aktiv ist dieser Satz schon, bedenken wir aber, dass das Subjekt stets ein Patienssubjekt ist, wenn das Perfekt-Hilfsverb "sein" ist, dann erblicken wir doch einen gemeinsamen Nenner mit dem Passivfall. Die PP "durch Verwitterung" ist keine Agensphrase, hat aber semantisch auch etwas gemeinsam mit einer; deshalb wird sie hier mit hellgelbem Hintergrund markiert:
(5) Das sind durch Verwitterung beweglich gewordene Granitblöcke.
Mit zusätzlicher Markierung der syntaktischen Struktur:
(6) Das sind [[[[ durch Verwitterung ]PP beweglich geworden ]VP -e ]AP Granitblöcke ]NP
Hier wird deutlich, dass "geworden" tatsächlich als Perfekt-Partizip betrachtet und bezeichnet werden kann – in einem weiteren Schritt wird die VP mithilfe des Adjektivsuffixes -e zu einer AP umgewandelt.
Aktivfall
Bisher ist das Partizip, das die Adjektivendung bekommt, stets ein Perfektpartizip gewesen — doch mithilfe eines Präsenspartizips lässt sich im Prinzip eine beliebige Aktiv-VP in eine AP umwandeln. Die temporale Interpretation – der Zeitbezug – kann dabei zwar unterspezifiziert bleiben, meistens wird sie sich aber aus dem Kontext ergeben.
Am klarsten behalten die APen ihren VP-Ursprungscharakter bei, die ein Akkusativobjekt enthalten, wie hier (lilafarbener Hintergrund):
(7) Die bei München wohnende Tochter Erna ist Diplom-Ingenieurin im Hochbau, der den Vater pflegende Sohn Valean arbeitet als Diplom-Ingenieur Straßenbau beim Baumamt der Stadt Michelstadt. Mit am Geburtstagstisch sitzen wird auch die Germanistik studierende Enkelin Melissa, auf die der Opa besonders stolz ist.
(8) [ der [[[ den Vater ]NP pflegen ]VP -d-e ]AP Sohn ]NP
(9) [ die [[[ Germanistik ]NP studieren ]VP -d-e ]AP Enkelin ]NP
Wie hier ersichtlich, kann die Präsenspartizip-Ableitungsendung -d (bzw. -end) als Adjektivableitungsendung betrachtet werden, da sie sonst keine VP-bildende Rolle spielt – Präsenspartizipien taugen zum Bau attributiver APen aus VPen und zur Bildung prädikativer Adjektive, aber nicht zum Bau prädikativer Strukturen verbaler Natur: *Der Sohn ist den Vater pflegend.
Gerundivfall
Die eigenartigste Konstruktion nimmt in sogenannten modalen Infinitivkonstruktionen mit der Infinitivpartikel "zu" ihren Ausgangspunkt. Diese Konstruktion hat also einen modalen, und auch passiven Charakter, und wieder kann eine Agensphrase auftreten:
(10) Sie haben Angehörige, die von Ihnen zu pflegen sind
(11) Sie haben [[[[ von Ihnen ]PP zu pflegen ]VP -d-e ]AP Angehörige ]NP
Zu Norwegisch? Du har familiemedlemmer du må ta deg av.