Kehren wir zu Nomenphrasen mit nachgestellten Attributen zurück. Bisher haben wir nur die pure Struktur solcher Phrasen beschrieben – bis auf eines; zusätzlich zur reinen Zerlegung wurden die einzelnen Attribute mit "NP" oder "PP" als Nomen- oder Präpositionsphrasen gekennzeichnet. Jetzt wollen wir auf die inhaltlichen Beziehungen zwischen Nomen und Attributen näher eingehen.
Erster Schritt: Objektiver Genitiv
Nehmen wir uns zunächst einmal ein einfaches Beispiel vor:
(1) Nach dem Genuss Nürnberger Rostbratwürstchen wurde die Reise fortgesetzt.
Rein formal stellen wir zuallererst fest, dass es sich bei der Wortform "Nürnberger" hier um ein grammatisches Paradox handelt: Da ist ein Genitiv gemeint, der strenggenommen aber nicht zum Ausdruck gebracht wird, da die -er-Endung damit draufgeht, das Adjektiv vom Ortsnamen abzuleiten. Zu erwarten wäre die Form "Nürnbergerer", die gibt es aber nicht.
Das nur nebenbei. Es geht uns um die NP
(2) dem Genuss [NP Nürnberger Rostbratwürstchen ]
und vordergründig dabei um die inhaltliche Beziehung zwischen dem Kernnomen "Genuss" und der Genitiv-NP "Nürnberger Rostbratwürstchen". Die Schlüsselbeobachtung: Diese Beziehung tritt dann zu Tage, wenn
- eine bestimmte Wortableitung rückgängig gemacht wird und
- ein anderer Kasus den Genitiv ersetzt.
Jene Wortableitung ist die Nominalisierung des Verbs "genießen", und dieser Kasus ist der Akkusativ. (2) geht so auf (3) zurück:
(3) [NP Nürnberger Rostbratwürstchen ] genießen
Man kann es nicht hören oder sehen, aber die NP steht jetzt nicht mehr im Genitiv sondern im Akkusativ. In der Tat ist sie ein Akkusativobjekt, dasjenige, das zum transitiven Verb "genießen" gehört.
Daher also die Bezeichnung objektiver Genitiv.
Zweiter Schritt: Subjektiver Genitiv
Anders liegt es hier:
(4) Am Mittwoch kam es in der Nähe des Weilburger Landtores zu einem Angriff einer Frau auf einen 12-Jährigen. Die Polizei sucht nach Zeugen.
(5) einem [ Angriff [NP einer Frau ]] [PP auf einen 12-Jährigen ]
Sowohl das Subjekt als auch das Akkusativobjekt des zugrundeliegenden Verbs "angreifen" kommen als Attribute der Nominalisierung "Angriff" zum Ausdruck, und zwar ersteres direkt als Genitiv-NP und letzteres indirekt als PP mit "auf" + Akkusativ. Da dies die Art ist, die Objektrolle als Attribut zum Ausdruck zu bringen, wird der Genitiv freigemacht für die Subjektrolle, hier das Agens. Subjektiver Genitiv also.
Wenn das zugrundeliegende Verb intransitiv ist, also kein Akkusativobjekt haben kann, wird auch von einem subjektiven Genitiv gesprochen, selbst wenn es sich um eine Patiensrolle handelt:
(6) Durch das Erliegen [NP des Tourismus ] wurden die Flughäfen geschlossen.
Dritter Schritt: Subjektive Präposition
Wieder anders liegt es hier:
(7) Als Strafe für den [ Raub [NP des Feuers ]] [PP durch Prometheus ] bringt Zeus den Menschen die Frauen.
Die gängige Art, sowohl die Subjektrolle als auch die Akkusativobjektrolle eines transitiven Verbs an eine Nominaliserung des Verbs anzubinden, besteht in
- einen objektiven Genitiv und
- eine subjektive Präposition: "durch"
Diese Präposition wird ja auch eingesetzt, um Subjektrollen im Passiv zum Ausdruck zu bringen – wo sie aber dort gegenüber "von" die zweite Geige spielt, ist sie hier die einzig mögliche. Etwa "den Raub des Feuers von Prometheus" lässt sich nicht so deuten.
Die vollständige Struktur der NP "Strafe für den Raub des Feuers durch Prometheus"? Hier zunächst der LaTeX-Code:
\begin{forest}
[N [N [Strafe]] [PP [P [f{\" u}r]] [NP [D [den]] [N [N [N [Raub]] [NP [D [des]] [N [Feuers]]]] [PP [P [durch]] [NP [N [Prometheus]]]]]]]]
\end{forest}
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